Promotion Jonathan Reichel
Jonathan Reichel promovierte über „Die metaphorische Rede von der Sünde als Tyrann. Der Herrschaftswechsel in Röm 6 und die Instrumentalisierung des Gesetzes in Röm 7“.
In den Paulusbriefen, und dort insbes. in dem Römerbrief, genauer: Röm 6–8, ist häufig im Singular von „Sünde“ = hamartia die Rede und in vielen dieser Aussagen tritt sie als handelnde Person auf, die z.B. versklavt, Menschen bringen ihr Gehorsam entgegen, sie betrügt und tötet, zahlt Sold und herrscht, sie wohnt im Menschen und wird gerichtlich verurteilt, usw. In der Forschung ist es bisher nicht gelungen einen kohärenten Spenderbereich dieser Metaphorik zu eruieren. Es wird in der Dissertation in Anschluss an Lynne Tirrells Anapher-Theorie sowie Textwelt- und Frame-Theorien gezeigt, dass in Röm 6–8 ein kohärenter Metaphernkomplex mit einer source-world im Textverlauf etabliert wird: Die hamartia wird unter Heranziehung des domain des antiken (tyrannischen) Alleinherrschers metaphorisch so dargestellt, dass sie als Tyrann erscheint. Dafür wird anhand des verfügbaren antiken Quellenmaterials das domain des (guten) und des (bösen) Alleinherrschers rekonstruiert und gezeigt wie Paulus in Röm 6–8 durch Assoziationen von Vorstellungen aus dem Bereich der antiken Alleinherrschaft das Porträt der hamartia gestaltet: Sie erscheint als ein im Menschen wirksamer Tyrann, der die Umsetzung des Willens des Menschen verhindert. In dieser Charakterisierung schließt sich Paulus in innovativer Weise an den Diskurs um die antike Affektkontrolle an und stellt hamartia als gottwidrige Disposition zum Tun des Schlechten und Gesetzwidrigem dar, von der die Glaubenden durch den Herrschaftswechsel zu Gott, Christus und Geist befreit worden sind. Dabei erscheint das Gesetz, das als Mittel zur Affektkontrolle im jüdischen Umfeld propagiert wird, bei Paulus machtlos gegenüber der hamartia im Inneren des Menschen, indem es von dieser außer Kraft gesetzt oder sogar instrumentalisiert wird. Als Nebeneffekt wird dem Menschen in der Begegnung mit der Tora die Wirksamkeit der hamartia und das endzeitliche Todesurteil bewusst. Die hamartia bei Paulus kann insofern nicht als dämonische Macht wahrgenommen werden, sondern Paulus stellt mithilfe der Personifikation der hamartia als Tyrann im Rahmen der Rechtfertigung des Gottlosen den Zwang zum Tun des Gesetzwidrigen als vergangenes anthropologisches Problem dar.
Am 12. Dezember 2024 legte Jonathan Reichel die mündliche Prüfung als Disputation am Fachbereich Theologie ab.